Missklänge am Rande der Friedensdemo
"Bindings Maulkorb sorgt für Diskussionen"
Für den Aufreger des Nachmittags sorgte Lothar Binding mit seinem
Maulkorb (links). Am Ende protestierten die rund 3000 Demonstranten
aber doch noch ganz einträchtig gegen den Irak-Krieg; der Streit um die
Redner-Liste schien vergessen. Fotos: Kresin
Von Holger Buchwald RNZ vom 7.4.03
Protest gegen den Irak-Krieg: Rund 3000 Menschen marschierten am
Samstag zum US-Hauptquartier. Der Streit um die Rednerliste sorgte
zwischen den Demonstranten aber für Missklänge.
"Krieg ist immer Terror", steht auf einem großen Transparent. Über dem
Bismarckplatz wehen zahlreiche Friedensflaggen, die Fahnen von IG
Metall, PDS, Grünen und anderen. 17 Tage nach Ausbruch des Irak-Krieges
sind immerhin noch 3000 Menschen gekommen. Anders als bei der letzten
großen Demonstration vor zwei Wochen, spürt dieses Mal aber wirklich
jeder Teilnehmer , dass diejenigen, die zu der Kundgebung aufgerufen
haben, zerstritten sind.
Lothar Binding sorgt für den Aufreger des Nachmittags: Der
SPD-Bundestagsabgeordnete trägt tatsächlich, wie angekündigt, einen
Maulkorb. Binding will jedem zeigen, dass er auf der Demonstration
nicht reden darf, weil die Organisatoren keine Mandatsträger auf ihrer
Bühne wünschen. Nicht jeder Demonstrant kann sich mit dieser Form des
Protests anfreunden. Zwei Autonome bellen wie Hunde, ein anderer trägt
ein Schild: "Keine Angst. Ich beiße nur für meine Partei."
Niemand habe Anspruch, auf einer Demonstration zu reden, rechtfertigt
Joachim Guilliard vom Forum gegen Militarismus und Krieg die
Entscheidung des Bündnisses, keine Mandatsträger sprechen zu lassen:
"Eine Demonstration ist keine Diskussionsveranstaltung, sondern eine
politische Aktion, mit der die Menschen 'von unten' ihren Protest zum
Ausdruck bringen." Im Übrigen hätten sich die Veranstalter bemüht, die
verschiedenen beteiligten Gruppen angemessen einzubinden. Mit der
Absage an die Bundestagsabgeordneten wolle das Bündnis parteipolitische
Auseinandersetzungen vermeiden und nach außen klar seine
Regierungsunabhängigkeit signalisieren.
Scharf verurteilt der IG Metall-Bevollmächtigte Pat Klinis den Streit
um die Rednerliste: "Wenn wir die Friedensbewegung in Heidelberg kaputt
machen wollen, machen wir weiter so." In einer emotionalen Ansprache
fordert der Gewerkschafter jeden auf, sich am Bündnis gegen den Krieg
zu beteiligen. Klinis: "Es geht hier um die Sache, gegen den
ungerechten Krieg." Wütend klettert der Heidelberger IG Metall-Chef von
der Bühne und meint zu einem der Organisatoren: "Da habe ich weder für
den einen noch für den anderen gesprochen."
Allmählich tritt der Redner-Streit in den Hintergrund. Während Binding
weiter seinen Maulkorb trägt und einige Teilnehmer ihn auffordern,
"dieses Ding doch endlich abzunehmen", setzt sich der Kirchheimer
Pfarrer Vincenzo Petracca für einen "gerechten Frieden" ein, fordert
eine Kultur der Gewaltfreiheit und einen gerechten Welthandel. Und dann
kann es endlich losgehen, der Demonstrationszug setzt sich in
Bewegung.
Über die Rohrbacher- und Rheinstraße geht es in Richtung Hauptquartier.
Wie schon die Male zuvor, bleiben die Fenster im Mark Twain Village
verschlossen, sind einige wenige Militärpolizisten die einzigen
US-Amerikaner, die sich am Rande der Demonstration blicken lassen.
Am Hauptquartier angekommen, legen die Kriegsgegner einen Kranz im
Gedenken an die Opfer nieder. Die Worte unter den Demonstranten sind
versöhnlicher geworden. Lothar Binding lobt die Veranstaltung. Den
Maulkorb hat er mittlerweile abgenommen.
Nur ein Mal noch kommt es zu Missklängen, als der Vorsitzende des
Bundesausländerbeirats, Memet Kiliç, für die Grünen redet. Einige
Demonstranten stören sich an den Joschka Fischer-Zitaten und ärgern
sich, dass Kiliç die deutsche Regierung verteidigt. "Es reicht!",
"Aufhören!", skandiert eine Gruppe von Zuhörern. Aber nicht nur mit
Kiliç sind die Demonstranten an diesem Tag ungeduldig. Irgendwie
scheinen sich die Argumente, das Bedauern über den Krieg und die
Vorwürfe gegen die Bundesregierung immer zu wiederholen. Und so dauert
es nicht lange, bis die ersten Kriegsgegner abwandern. Die feurigen
Reden von Vietnam-Veteran Dave Blalock und US-Kriegsdienstverweigerer
Dave Carson hören nur noch wenige.
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