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Auf der Friedensdemo singt der Sänger zum Abschluss: "Und der Maulkorb passt auf jeden offenen Mund..."

Auf dieser Demo haben Abgeordnete der SPD und der Grünen Redeverbot. Zensur in der Friedensbewegung.

22. März 2003 - die verbotene Rede:

In dieser Woche ist die erste Bombe gefallen - nein: sie wurde abgeworfen.

Unsere Gefühle sind bei den Menschen, ihren Sorgen, ihren Ängsten, ihren Leiden. Wir haben diesen Krieg nicht gewollt, und deutsche Soldaten werden sich nicht daran beteiligen. "Die erste Bombe ist gefallen. Damit endet jene zivilisatorische Epoche, in der die demokratischen Gesellschaften ihre internen Prinzipien der Rechtstaatlichkeit und friedlichen Konfliktlösung auf die Völker untereinander zu übertragen suchten." schreibt Martin Winter gestern in der FR. 

Unsere Grundüberzeugung ist mit dem Beginn des Krieges keineswegs widerlegt: Krieg ist keine Lösung. Nicht, so lange nicht alle friedlichen Möglichkeiten vollständig ausgeschöpft sind. Dafür haben sich die Bundesregierung, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer mit großem Engagement eingesetzt. 

Dabei braucht die Diplomatie manchmal auch klare eindeutige Positionen. Das klare Nein zum Krieg war eine der Voraussetzungen für die nachfolgenden diplomatischen Erfolge: Keine Mehrheit im Sicherheitsrat der UN für den Krieg, keine einheitliche Orientierung der Nato auf die Ziele der Kriegswilligen, weltweites Engagement für den Frieden. Und so wie es falsch war den Kriegsbereiten in der US-Administration - das ist nicht das amerikanische Volk - durch eine christdemokratische Unterwerfungsgeste ihre Kriegspläne quasi zu sanktionieren, so falsch ist es heute, von den eigentlichen Aufgaben durch innenpolitische Rechts-Streitigkeiten abzulenken. 

Deutschland kann das Völkerrecht nur verteidigen, wenn es bereit ist, seine internationalen Verpflichtungen und vertraglichen Vereinbarungen im Rahmen der UN und der Nato zu erfüllen. Das müssen auch jene aushalten, denen es fundamental schwer fällt zu akzeptieren, dass unsere Regierung etwas Gutes für unsere Gesellschaft und unser Land will. Und das Nein zum Krieg ist gut für Deutschland.

Nur auf diesem Pfad stärken wir die internationalen Organisationen und nur so haben wir eine Chance, den Hegemon am Potomac in die Gemeinschaft zurückzuholen.

Am Unrechtscharakter der Saddam-Diktatur haben wir niemals Zweifel aufkommen lassen. Dennoch - und aus guten Gründen - steht es nach den Regeln des Völkerrechts keinem Staat zu, in eigener Machtvollkommenheit die Regierung eines anderen Landes abzusetzen. 

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner Resolution 1441 einstimmig - also auch mit Unterstützung der Regierung der USA - die Entwaffnung des Irak, nicht den "Regimewechsel" verlangt. Das Ziel war die Abwendung einer möglichen Bedrohung durch Zerstörung eventuell vorhandener Vorräte an atomaren, biologischen und chemischen Waffen. 

Die Inspektoren haben daher volle Unterstützung von deutscher Seite erhalten: sowohl Informationen als auch Gerät und Experten. Die Zwischenberichte der Chefinspektoren Blix und El Baradai belegten die wachsende Wirksamkeit der Inspektionen. Wir bedauern zutiefst, dass die USA und wenige andere Staaten sich nicht bereit fanden, diesen erfolgreichen Weg mit uns weiterzugehen und ausgerechnet in einer Phase sehr erfolgreicher Arbeit der Inspektoren einen Krieg beginnen.

Dieser Angriff ist völkerrechtswidrig und ich frage mich, warum sich Bush und sein kleiner eingeschworener Beraterkreis, gestützt auf eine übermächtige US-Medienmaschinerie, so ignorant gegenüber politischen und diplomatischen Diskussionen und Konventionen verhalten. 

Ich denke, dass es sich bei Bush, leider auch bei vielen seiner Berater, um psychische Probleme, alte Rechnungen aus dem Golfkrieg '91 und um wirtschaftliche Interessen handelt. 

Mathias Bröcker schreibt in seinem Buch: "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9." sinngemäß:

  • Vater George Bush bewaffnete als CIA-Chef Saddam Hussein, bekämpfte ihn dann im Golfkrieg,
  • Sohn George W. Bush erhielt das Geld für seine erste Ölfirma vom Vermögensverwalter der Familie Bin Laden, einer deren Söhne, Osama, er heute bekämpft.
  • Gouverneur Jeb Bush, der Bruder von G.W. Bush, war verantwortlich für die Wählerlisten in Florida, die schließlich G.W. zum Präsidenten verhalfen, auch ohne eine demokratisch erzielte Mehrheit errungen zu haben - und das im Land, das sich wähnt, die Demokratie erfunden haben... 

Für mich sind in diesem Konflikt auch sehr persönliche Zusammenhänge von Bedeutung:

  • Vaterkomplex - der "Familienauftrag".

  • Lang andauernder Alkoholismus und dessen Beendigung im religiösen Delirium.

  • Seit zwei Jahren eine Staatsverschuldungsgeschwindigkeit in den USA, die höher ist als bei Kohl in der Endphase.

  • Zunehmende Armut und Kriminalität in den USA

Abgesehen davon haben die USA in allen wichtigen Waffengattungen, die sie dem Irak in seinen Anwendungsmöglichkeiten unterstellen, ihre Unschuld längst verloren:

  • Der erste Atomschlag richtete sich gegen Japan, 1945

  • Den ersten Anthrax Anschlag gab es im Koreakrieg, 1950 bis 1953

  • Sarin Giftgas wurde von US Kampfeinheiten gegen die eigenen Soldaten eingesetzt (Vietnam-Krieg "Operation Tailwind").

Konzepte für eine solche Politik existieren schon lange. Sie wurden bereits in den neunziger Jahren in ultrarechten "Think Tanks" entwickelt - Denkfabriken, in denen Kalte Krieger aus dem Dunstkreis von Geheimdiensten und Erweckungskirchen, von Rüstungs- und Ölkonzernen gespenstisch anmutende Pläne für eine neue Weltordnung schmiedeten. 

In diesen Visionen wird das Völkerrecht durch das Recht des Stärkeren ersetzt. Am aller stärksten soll, natürlich, stets die einzig verbliebene Supermacht sein. Internationale Hegemonie...

Schon 1998 wurde Saddams Sturz geplant. Bill Clinton hatte diese Pläne - "Project for The New American Century" (PNAC) - strikt abgelehnt:

Im liberalen Klima blieb in der Öffentlichkeit nahezu unbeachtet, was ein 1997 gegründetes "Project for The New American Century" (PNAC) postulierte, das laut Statut für "Amerikas globale Führerschaft" kämpft. Bereits vor fünf Jahren - am 26. Januar 1998 - forderte die Projektgruppe in einem Brief an "Mr. William J. Clinton" den damaligen US-Präsidenten zu einem Sturz Saddams und zu einer radikalen Umkehr im Umgang mit der Uno auf.

Solange nicht klar sei, ob Saddam über Massenvernichtungswaffen verfüge, drohe Gefahr für die USA, Israel und die gemäßigten arabischen Staaten in der Region sowie für einen "bedeutsamen Teil der Welt-Ölvorräte". Wörtlich heißt es bereits in dem achtundneunziger Papier:

"Das bedeutet, in kurzer Frist zur Durchführung einer militärischen Aktion bereit zu sein, da die Diplomatie offenkundig versagt hat. Langfristig bedeutet es, Saddam Hussein und sein Regime zu entmachten ... Wir glauben, dass die Vereinigten Staaten unter den bereits bestehenden UN-Resolutionen das Recht haben, die nötigen Schritte, einschließlich militärischer, zu unternehmen, um unsere vitalen Interessen im Golf zu sichern. In keinem Fall darf sich die amerikanische Politik länger durch das fehlgeleitete Beharren des UN-Sicherheitsrats auf Einstimmigkeit lähmen lassen."

Der Brief wäre für immer unbeachtet in den Archiven des Weißen Hauses vergilbt, wenn er sich heute nicht wie die Blaupause zur Herbeiführung eines lange ersehnten Angriffskrieges lesen würde - und, vor allem, wenn nicht zehn PNAC-Mitglieder, die diesen Brief beziehungsweise den Gründungsaufruf unterzeichnet haben, mittlerweile dominierende Kräfte in der Bush-Administration wären:

  1. Richard B. Cheney ist Vizepräsident der Vereinigten Staaten,

  2. Lewis Libby ist Cheneys Stabschef,

  3. Donald Rumsfeld ist Bushs Verteidigungsminister,

  4. Paul Dundes Wolfowitz ist Rumsfelds Stellvertreter,

  5. Peter W. Rodman ist verantwortlich für "internationale Sicherheitsangelegenheiten",

  6. John Bolton ist Staatssekretär für Rüstungskontrolle,

  7. Richard Armitage ist stellvertretender Außenminister,

  8. Richard Perle, einst Vize-Verteidigungsminister unter Reagan, ist Chef des American Defense Policy Board,

  9. William Kristol, der PNAC-Vorsitzende, berät Bush und gilt als das "Hirn des Präsidenten",

  10. Zalmay Khalilzad ist, nachdem er als Sonderbotschafter und Königsmacher in Afghanistan gewirkt hat, derzeit Bushs Sonderbeauftragter für den Kontakt zur irakischen Opposition.

Schon vor mehr als zehn Jahren hatten zwei Hardliner aus diesem Kreis eine verteidigungspolitische Planungsvorgabe ("Defense Planning Guidance") entworfen. Als sie der amerikanischen Presse zugespielt wurde, sorgte dies für einen internationalen Eklat.

Mit Blick auf diese Pläne erkennen wir schnell, dass es weder um eine Befriedung einer Region oder den Weltfrieden geht, noch um Demokratisierung, es geht bei diesem Krieg um eine neue Weltordnung zur Sicherung hegemonialer Ansprüche und der damit einhergehenden Zerschlagung des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen - deshalb ist unser Protest - weltweit - wichtiger denn je. Und dabei freut mich besonders, dass sich so viele junge Menschen, Schülerinnen und Schüler so stark engagieren.

Eine unserer Zukunftsaufgaben muss sich darauf konzentrieren, das amerikanische Volk dabei zu unterstützen, wieder eine politikfähige und diplomatiefähige Regierung zu etablieren. 

Eine zweite, eigentlich die erste, Zukunftsaufgabe muss sich auf die Armutsbekämpfung in der Welt konzentrieren, denn nur wer sich um die wichtigsten Ursachen für Terrorismus und Krieg kümmert, kümmert sich um eine zukunftsfähige, friedliche und sozial gerechte Weltgesellschaft.




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